Papier ist lebendig – Das Budapester Memorandum von 1994

14, Mrz 2024 | Geopolitical Challenges, Geopolitische Herausforderungen, Les défis géopolitiques

Papier ist lebendig –

Das Budapester Memorandum von 1994

 

„Papier ist geduldig“ sagt der Volksmund, „Papier ist lebendig“ sagt der Historiker. Historiker haben die Aufgabe, sich daran zu erinnern, was geschehen ist, wer gehandelt hat oder wer nicht gehandelt hat, während andere gehandelt haben.

Gerade im Zeitalter der elektronischen Medien, wo Aussagen sofort und monologisch gleichgewichtig verbreitet werden und nicht nach der Sachkenntnis des Sprechers oder den Fakten, sind Historiker ebenso wichtig wie abwesend in Fernsehstudios oder öffentlichen Debatten.

Das gilt für den Krieg in Europa ebenso wie für den jüngsten Krieg im Nahen Osten, wo die Erzählung von einer Bande von Terroristen beherrscht und kontrolliert wird. Mehr dazu in einem anderen Artikel.

Das Budapester Memorandum umfasst drei Abkommen, die auf der Konferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa am 5. Dezember 1994 in Budapest unterzeichnet wurden. Die Vertragsparteien waren die Russische Föderation, die USA, das Vereinigte Königreich, Kasachstan, Belarus und die Ukraine.

In den Abkommen gewährten die Russische Föderation, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten Kasachstan, Belarus und der Ukraine Sicherheitsgarantien im Zusammenhang mit ihrem Beitritt zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen und im Gegenzug für die Beseitigung aller Kernwaffen auf ihrem Hoheitsgebiet.

Die Abkommen verdeutlichen und bekräftigen insbesondere bereits bestehende Verpflichtungen, nämlich die Achtung der Souveränität der Ukraine und der bestehenden Grenzen, das UN-Gewaltverbot und andere Verpflichtungen. Es wird auf die Schlussakte von Helsinki verwiesen:

Die bekannten und gemeinsam vereinbarten zehn Prinzipien der Schlussakte von Helsinki und der OSZE sind (de OSZE 39503 )

  1. Souveräne Gleichheit, Achtung der mit der Souveränität verbundenen Rechte
  2. Verzicht auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt
  3. Unverletzlichkeit der Grenzen
  4. Territoriale Integrität der Staaten
  5. Friedliche Beilegung von Streitigkeiten
  6. Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten
  7. Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Glaubensfreiheit
  8. Gleichheit und Selbstbestimmungsrecht der Völker
  9. Zusammenarbeit zwischen den Staaten
  10. Erfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtungen in gutem Glauben

Die OSZE hat 57 Teilnehmerstaaten in Europa, Zentralasien und Nordamerika. Der Heilige Stuhl ist ebenfalls ein aktives Mitglied. https://www.osce.org/participating-states

Die Charta der Vereinten Nationen (Artikel 2 Absatz 4 der Charta der Vereinten Nationen lautet: „Alle Mitglieder enthalten sich in ihren internationalen Beziehungen der Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates oder in jeder anderen Weise, die mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist“) und des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen.

Die Artikel des Budapester Memorandums entsprechen den beiden grundlegenden internationalen Verträgen:

– Artikel 1 bekräftigt die Verpflichtung der Unterzeichnerstaaten zur Achtung der Souveränität und der bestehenden Grenzen und verweist auf die Schlussakte von Helsinki als Grundlage für die Grundsätze der Souveränität, der Unverletzlichkeit der Grenzen und der territorialen Integrität.

– Artikel 2 bekräftigt die Verpflichtung, auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten, und verweist auf die Charta der Vereinten Nationen als Grundlage für das Verbot der Anwendung von Gewalt.

– Artikel 3 bekräftigt unter weiterer Bezugnahme auf die Schlußakte von Helsinki die Verpflichtung, sich wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen zu enthalten, die darauf abzielen, die Ausübung der der Souveränität der Ukraine innewohnenden Rechte ihrem eigenen Interesse unterzuordnen und sich dadurch Vorteile jeglicher Art zu verschaffen.

– Artikel 4 bekräftigt die Verpflichtung, den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unverzüglich zur Unterstützung der Ukraine einzuschalten, falls die Ukraine als Nichtkernwaffenstaat und Teilnehmer am Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen mit Kernwaffen bedroht wird.

– In Artikel 5 wird die Verpflichtung bekräftigt, auf den Einsatz von Kernwaffen gegen Nichtkernwaffenstaaten, die Teilnehmer des Nichtverbreitungsvertrags sind, zu verzichten.

– Artikel 6 enthält die Zusage, sich im Falle von Konflikten zu konsultieren.

Die Ukraine kam im Zuge der Auflösung der Sowjetunion in den Besitz von Atomwaffen. Zu diesem Zeitpunkt besaß die Ukraine das drittgrößte Atomwaffenarsenal der Welt, hatte aber keine operative Kontrolle darüber, da Russland im Besitz der für den Einsatz von Atomwaffen erforderlichen Aktivierungscodes war.

Das Budapester Memorandum war eine Vorbedingung für die Unterzeichnung und Ratifizierung des Atomwaffensperrvertrags und des Atomteststoppvertrags. Bis 1996 wurden alle Kernwaffen der ehemaligen Sowjetunion an Russland übertragen, das als Rechtsnachfolger der Sowjetunion das Recht hat, Kernwaffen zu besitzen. Das Dokument wurde von allen beteiligten Ländern unterzeichnet und bei den Vereinten Nationen als völkerrechtlicher Vertrag hinterlegt (UN _Budapest Memorandum_ volume-3007-I-52241; UN COR-Reg-52241-Sr-65115).

China und Frankreich gaben ihre eigenen Erklärungen zur Sicherheitsgarantie der Ukraine ab. Darüber hinaus schrieb der französische Präsident François Mitterrand am 5. Dezember 1994 ein persönliches Schreiben in diesem Sinne. Die Vereinigten Staaten versicherten der Ukraine, daß sie entsprechend reagieren würden, falls Rußland das Abkommen verletzen sollte.

Rechtlicher Charakter des Memorandums

Bezeichnenderweise wurde die Feststellung, dass das Memorandum nicht rechtsverbindlich sei, erst nach der Besetzung und „Annexion“ der Krim durch das Russische Reich getroffen. Die US-Seite behauptete, das Memorandum sei eine Vereinbarung und kein Vertrag. – Den Dolmetschern im US-Außenministerium war nicht klar, dass sich das Memorandum in den wesentlichen Teilen seines Inhalts auf abgeschlossene und bei der UNO hinterlegte Verträge bezieht und diese zitiert.

Die Achtung der Souveränität der Ukraine und die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen werden in dem Memorandum in Erinnerung gerufen, sind aber bereits seit der Schlussakte von Helsinki gültig und ratifiziert, ebenso wie die Charta der Vereinten Nationen an den bereits zitierten Stellen.

Selbst wenn diese inhaltlichen Wiederholungen nicht akzeptiert würden, könnte die Tatsache, dass das Memorandum bei den Vereinten Nationen hinterlegt und registriert wurde, ausreichen, um die Verpflichtung der Unterzeichnerstaaten auszulösen, der überfallenen Ukraine beizustehen.

Wenn der russische Politologe Wladislaw Below hingegen darauf hinweist, dass das Memorandum nicht von der Staatsduma ratifiziert wurde und daher „nur als Absichtserklärung der damaligen russischen Regierung unter Boris Jelzin, nicht aber als völkerrechtlich verbindlich anzusehen ist“, kann er sich des Verdachts mangelnder Lese- und Schreibkenntnisse der russischen Sprache nicht erwehren, wie alle offiziellen Übersetzungen des Memorandums (englisch, ukrainisch und russisch) belegen:  Inkrafttreten: 5. Dezember 1994 durch Unterschrift.

Als die deutsche Botschafterin in Kiew, Anka Feldhusen, im November 2020 in einem Interview behauptete, das Memorandum sei nur eine politische Erklärung und kein völkerrechtlicher Vertrag, war sie sicherlich CDU-treu, war sie sicherlich loyal gegenüber der von Bundeskanzlerin Merkel geführten CDU/CSU- und SPD-Regierung (stellvertretender Bundeskanzler und Finanzminister war Olaf Scholz) Немецким инвесторам нужны одинаковые правила для всех и судебная реформа на Украине – посол Германии. In: Интерфакс-Укракраина. Abgerufen am 9. April 2023.

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